"Systeme modernisieren" So bewertet Prof. Dr. Sebastian Hess die Ukraine-Krise und ihre Folgen.  [21.03.22]

"Die Ukraine und Russland gehören zu den wichtigsten Agrarexporteuren der Welt, insbesondere bei Weizen, Gerste und Sonnenblumen. Der Angriff Russlands fällt in eine Phase, in der die globalen Agrarmärkte ohnehin seit einigen Monaten durch relative Rohstoffknappheit und steigende Preise geprägt waren. Weltweit sind die Preisnotierungen für Weizen seit Kriegsbeginn weiter sprunghaft angestiegen." ...

... „Zusätzlich zur Entwicklung der ukrainischen Exporte werden die kommenden Wochen zeigen, ob und in welchem Umfang Russland im Jahresverlauf weiterhin Weizen exportieren wird. Neben einer möglichen Beeinträchtigung der Exportinfrastruktur und makroökonomischen Unsicherheiten könnte Russland auch Agrarexporte aus politischen Gründen zurückhalten. Die Folgen für die Ernährungssituation der kommenden Monate könnten insbesondere für Länder verheerend sein, die auf Nahrungsmittelimporte angewiesen sind und deren Bevölkerung über relativ wenig Kaufkraft verfügt. Russland würde sich durch entsprechende Maßnahmen zwar auf Dauer als Handelspartner und damit in seiner Rolle als globale Kornkammer ebenfalls diskreditieren, aber dieser Effekt dürfte für Russland aus einer Reihe von Gründen weniger drastisch ausfallen als bei Öl und Erdgas.“...

... „Der Wunsch, die europäische Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu reduzieren, könnte durch eine forcierte Erzeugung erneuerbarer Energien in Europa oder anderen Teilen der Welt die Nahrungsmittelpreise weiter in die Höhe treiben und den Druck auf Öko-Systeme erhöhen. Ein Rückfall in agrar- und energiepolitische Anreizstrukturen früherer Jahrzehnte muss daher vermieden werden, denn die globalen Herausforderungen bei Klima und Ressourcenschutz sind nicht über Nacht weniger drängend geworden. Stattdessen sollte eine grundlegende Modernisierung des  europäischen Agrar- und Ernährungssystems vor dem Hintergrund der ökologischen Intensivierung angestrebt werden. Dies bedeutet, dass sich aus ,konventionellen‘ und ,ökologischen‘ Wirtschaftsweisen ein neues Leitbild einer gleichermaßen nachhaltigen und ertragreichen Landwirtschaft
entwickeln muss. Auch eine Änderung von Ernährungs- und Verbrauchsmustern kann in dieser Hinsicht einen Beitrag leisten.

Kurz: Die in den vergangenen Jahren anvisierten Ziele im Hinblick auf einen nachhaltigeren europäischen Agrarsektor sollten nicht infrage stehen, aber einige der gegenwärtig dazu vorgesehenen Mittel müssen vor dem Hintergrund des russischen Kriegs in der Ukraine und der weltweiten Auswirkungen auf die Agrarmärkte eine gesellschaftspolitische Neubewertung erfahren.“


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